ÖHV: CRM oder KI – wer kennt den Gast besser?
M. Toedt: CRM-Systeme sammeln strukturierte Daten und liefern wertvolle Insights über Gästebedürfnisse – aber in der Regel nur im Marketingkontext. Künstliche Intelligenz hingegen kann deutlich tiefer gehen, bedarf aber einer guten Datenbasis damit die KI auch gute Ergebnisse liefern kann.
Entsprechend müssen sich die heutigen CRM Systeme weiter öffnen und nicht nur den Marketingbereich abdecken, sondern die gesamte Customer Journey. Wir bei dailypoint können dies heute bereits und fassen alle Gastdaten in einem zentralen Daten-Management (CDM oder auch CDP genannt) zusammen. Dies ist dann die perfekte Basis für die KI um Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. In Kombination mit einem sauberen, zentralen Gastprofil (Golden Record) kann KI den Gast nicht nur besser „verstehen“, sondern auch situativ agieren.
Die KI bietet ständig neue Möglichkeiten das Gasterlebnis noch individueller und besser zu machen.
O. Heuser: KI ist kein Ersatz für CRM-Systeme, sondern ein intelligenter Layer, der bestehende Systeme wie CRM oder PMS auf ein völlig neues Niveau hebt – quasi CRM on steroids durch den Einsatz von LLMs (generative KI-Modelle). Während klassische CRMs vor allem Daten sammeln und verwalten, werden KI-gestützte Systeme diese Informationen aktiv interpretieren, verknüpfen und in hochgradig personalisierte Aktionen umsetzen.
Künftig werden moderne KI-Systeme automatisch auf eine Vielzahl von Gästeinformationen zugreifen – von der Buchungshistorie über individuelle Vorlieben bis hin zu Treueprogrammen – und diese in Echtzeit nutzen, um maßgeschneiderte Empfehlungen und Angebote zu generieren. Ein Hotel könnte dann beispielsweise ganz selbstverständlich Lieblingszimmer oder spezielle Ernährungswünsche eines Stammgasts berücksichtigen und vor der Anreise proaktiv passende Zusatzleistungen wie Spa-Pakete oder besondere Arrangements anbieten.
Damit wird das CRM vom statischen Datenarchiv zum aktiven, vorausschauenden Service- und Verkaufsinstrument. Das Ergebnis: deutlich höhere Servicequalität, stärkere emotionale Bindung der Gäste und neue Umsatzpotenziale durch intelligentes, nahtloses Upselling und Cross-Selling.
ÖHV: Wird das klassische CRM-System bald von der persönlichen KI abgelöst?
M. Toedt: In gewisser Weise ja – zumindest in seiner heutigen Form. Viele CRM-Systeme sind datengetriebene Newsletter-Tools mit begrenzter Integrationstiefe. Diese Systeme haben in naher Zukunft sicherlich ausgedient.
Die persönliche KI, wie im Gedankenexperiment beschrieben, geht weit darüber hinaus: Sie wäre jederzeit kontextsensitiv, lernfähig und proaktiv. Solche Technologien werden das CRM nicht komplett ersetzen, aber seine Rolle neu definieren – vom reaktiven Tool zur aktiven, intelligenten Interaktionseinheit.
O. Heuser: Das klassische CRM wird nicht von heute auf morgen verschwinden, sondern sich Schritt für Schritt weiterentwickeln. Die persönliche KI – zunehmend in Form von Agentic AI, also autonom handelnden, proaktiv agierenden KI-Agenten – wird dabei das Kundeninterface übernehmen. Sie interagiert direkt mit dem Gast, erkennt Bedürfnisse in Echtzeit und reagiert eigenständig mit individuellen Angeboten, Services oder Handlungsschritten. Die dafür nötigen Daten liegen weiterhin im Hintergrund im CRM, das als stabiles Rückgrat für Speicherung und Verwaltung dient. KI wird so zum „Gehirn“, das diese Informationen intelligent verknüpft, interpretiert und in konkrete, automatisierte Aktionen übersetzt. Ich vermute jedoch, dass das erst in 5-10 Jahren erst Realität wird.
ÖHV: Was ist heute schon Realität – was noch Zukunftsmusik?
M. Toedt: Die Realität ist, dass abgesehen von der Optik, sich Emailnewsletter in den letzten 20 Jahren qualitativ kaum verändert haben. Es wird immer noch breit gestreut, ohne Rücksicht auf Verlust.
Eine individuelle E-Mail-Kommunikation ist aber auch heute schon möglich. Ob auf Basis dynamischer Content-Bausteine, aufbauend auf automatisiert erstellten Gästewissen, oder KI-gestützte Reaktionen auf Gästeanfragen.
Wir bieten seit geraumer Zeit die Möglichkeit, dass die Inhalte eines Newsletters voll automatisch an Hand der Präferenzen des Empfängers individuell zusammengestellt und richtig sortiert angezeigt werden. Somit entsteht ein völlig neues Kommunikationserlebnis für den Gast. Er sieht und erhält das, was für ihn am interessantesten ist.
Die temporäre Kopplung zwischen persönlicher und Hotel-KI, wie im Gedankenexperiment beschrieben, ist konzeptionell spannend, technisch aber noch Zukunftsmusik. Ein Punkt der hier zu bedenken ist, ist der des Direktvertriebs. Ohne Emailmarketing würden Hotels einen der wichtigsten Bausteine des Direktvertriebs und der Kundenbindung verlieren. Nur durch eine kontinuierliche Kommunikation bleibt die Brand im Kopf des Gastes erhalten und nur so entsteht langfristige Kundenbindung die sich in Form von Direktbuchungen widerspiegelt.
O. Heuser: Heute sehen wir schon sehr konkrete Einsatzmöglichkeiten von KI in CRM-Systemen – und das nicht nur in Pilotprojekten, sondern im breiten Einsatz. Viele CRM-Systeme nutzen KI bereits, um Kundendaten intelligenter auszuwerten, zu segmentieren, personalisierte Empfehlungen auszusprechen und Routineaufgaben zu automatisieren.
In der Hotellerie sind auch KI-gestützte Chatbots, dynamisches Upselling und personalisierte Gästekommunikation längst Realität.
Was jedoch noch Zukunftsmusik ist, ist der konsequente Schritt hin zu Agentic AI. Damit sind autonome, proaktiv handelnde KI-Agenten gemeint, die nicht nur reagieren, sondern selbstständig planen, Entscheidungen treffen und Aktionen ausführen. Erste Systeme, wie Salesforce „Agentforce“, zeigen bereits, wohin die Reise geht: Sie automatisieren komplexe Workflows, schließen Anfragen eigenständig ab und entlasten Teams massiv. Aber bis diese Technologie nahtlos in der Breite funktioniert – gerade in Branchen wie der Hotellerie, wo Daten oft noch verteilt und unstrukturiert sind – wird es noch ein wenig dauern.
ÖHV: Wo liegen Chancen für die Hotellerie? Vielleicht gerade für kleine, familiengeführte Betriebe?
M. Toedt: Digitalisierung und Cloud bedeutet eine Demokratisierung des Wettbewerbs. Es entscheidet nicht mehr das Budget über den Erfolg, sondern die Fähigkeit des Managements.
Gerade kleinere Betriebe haben durch zentrale Plattformen wie dailypoint die Möglichkeit, professionelle Technologien auf Enterprise-Niveau zu nutzen.
Automatisierung spart Zeit, die für den persönlichen Kontakt genutzt werden kann. Zudem können besonders kleine Hotels heute mit geringem Aufwand personalisierte Gästeerlebnisse schaffen – von der Zimmerpräferenz bis zur individuellen Angebotsgestaltung.
O. Heuser: Im Bereich CRM wird KI künftig noch stärker helfen, Gästeinformationen automatisch zu erfassen, intelligent zu verknüpfen und personalisiert einzusetzen – vom individuellen Zimmerwunsch bis zu gezielten Zusatzangeboten. So können auch kleinere Betriebe ein Serviceniveau bieten, das bisher nur großen Ketten möglich war, und dabei ihre persönliche Note bewahren.
Gerade in der Gästekommunikation liegt für Hotels – und besonders für kleine, familiengeführte Betriebe – enormes Potenzial. KI kann heute schon einen Großteil der Routinekommunikation übernehmen: über Chatbots, Telefonbots oder automatisierte E-Mail-Antworten. Das entlastet das Team massiv, weil Standardfragen zu Buchungen, Anreisen oder Services rund um die Uhr und in mehreren Sprachen beantwortet werden können. Die Folge: mehr Zeit für die persönliche Betreuung vor Ort und die Möglichkeit, flexible Arbeitszeitmodelle wie Teilzeit praktikabel zu gestalten.
ÖHV: Wie bleibt bei all der Technik das Persönliche, Emotionale, der „Gastgeber-Moment“ erhalten?
M. Toedt: Technologie soll nicht ersetzen, sondern befähigen. Wenn der Check-in-Prozess automatisiert ist und der Mitarbeiter bereits weiß, dass der Gast laktosefreie Milch bevorzugt oder lieber in der obersten Etage wohnt, kann er sich auf das Wesentliche konzentrieren: die echte Gastfreundschaft. KI entlastet – und schafft Raum für Menschlichkeit.
Wir bieten zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Mitarbeiter beim Check-In automatisch eine durch KI erstellte Zusammenfassung des Gastes angezeigt bekommt. Darüber hinaus durchforsten wir das Internet, ob der Gast vielleicht eine bekannte Persönlichkeit ist. Somit werden also auch „unbekannte“ VIPs erkannt und können entsprechend behandelt werden.
Ich bin z.B. kein K-Pop Fan. Die Band BTS ist aber ein absoluter Superstar mit 75 Millionen Followern auf Instagram. Wären die Jungs früher vor mir an der Rezeption gestanden, hätte ich keine Ahnung gehabt wer sie sind. Heute hilft mir die KI, sie zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
O. Heuser: Es klingt zunächst kontraintuitiv, aber genau hier kann KI dazu beitragen, den persönlichen Service zu stärken. Indem sie Routineaufgaben übernimmt – etwa das Beantworten wiederkehrender Fragen per Chatbot, Telefonbot oder indem sie E-Mails oder Antworten auf Gästebewertungen schreibt – schafft sie Freiräume für das, was wirklich zählt: den direkten, persönlichen Kontakt zwischen Gastgeber und Gast.
Natürlich gibt es dabei ein Spannungsfeld: KI bietet enormes Potenzial für Kosteneinsparungen und Skalierbarkeit, gleichzeitig lebt die Hotellerie von persönlicher Zuwendung und einer klaren Markenidentität. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Augmented Hospitality“ – Technologie als Ergänzung, nicht als Ersatz für den Menschen.
Viele Hotels setzen deshalb auf hybride Modelle: Die KI übernimmt die Erstansprache, beantwortet Standardfragen sofort und effizient, und übergibt nahtlos an einen Menschen, sobald es um komplexe, emotionale oder individuelle Anliegen geht (Human-in-the-loop). So genießen Gäste die Vorteile schneller, präziser Antworten und haben dennoch die Sicherheit, jederzeit auf menschliche Empathie und Flexibilität zurückgreifen zu können.
Gerade in einer Branche, in der Servicequalität entscheidend für Loyalität ist, könnte diese intelligente Kombination aus KI und menschlicher Gastfreundschaft zum Erfolgsmodell der Zukunft werden.
ÖHV: Und ganz ehrlich: Freut ihr euch auf diese Zukunft, oder habt ihr auch Respekt?
M. Toedt: Beides. Die technologischen Möglichkeiten sind faszinierend. Die Geschwindigkeit in der sich alles verändert und die zunehmende Komplexität sind aber schon eine große Herausforderung. Es gibt kein Verschnaufen, kein Ausruhen und Durchatmen mehr, es geht in hohem Tempo immer weiter.
Letztlich können wir den Fortschritt nicht aufhalten, wir müssen und sollten uns ihm täglich stellen. Was mir Sorgen macht sind Regulierungen, die den Wettbewerb und den Standort Europa weiter gefährden. Wenn wir nicht aufpassen, kommt nach der De-Industrialisierung, eine Abwanderungswelle von Softwareunternehmen, gerade im Bereich KI, hinzu.
Aber bleiben wir positiv, die KI richtig eingesetzt ist ein immer wichtigerer Pfeiler, um das Gastererlebnis weiter zu verbessern, bei gleichzeitig steigender Arbeitsproduktivität.
Die Zukunft wird es zeigen, also lass uns in 5 Jahren wieder zusammensetzen und sehen wie weit wir gekommen sind.
O. Heuser: Ich freue mich sehr auf diese Zukunft – KI ist schon heute in so vielen Bereichen eine enorme Unterstützung, gerade wenn es darum geht, Zeit zu sparen, Qualität zu steigern und Menschen in ihrer Arbeit zu entlasten. Die Möglichkeiten, die sich daraus für Unternehmen und für die Gästeerfahrung ergeben, sind faszinierend.
Gleichzeitig habe ich Respekt vor den größeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die auf uns zukommen könnten – insbesondere, wenn wir den Durchbruch in Richtung Artificial General Intelligence (AGI) erleben. Wenn die Kosten für Intelligenz tatsächlich gegen null sinken, wird das enorme Umwälzungen auslösen: in der Arbeitswelt, in Wertschöpfungsketten, vielleicht sogar in unserem Verständnis von Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe.
Deshalb ist es wichtig, diese Entwicklung nicht nur technologisch, sondern auch ethisch, wirtschaftlich und politisch zu begleiten – damit wir das Potenzial voll ausschöpfen, ohne die sozialen Auswirkungen aus den Augen zu verlieren.
Die Interviewpartner:in
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Dr. Michael Toedt | Olga Heuser |