Wir sind in einem ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Umbruch, wie es ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Aus ökonomischer Perspektive sind nicht Inflation, Zinsen oder Künstliche Intelligenz entscheidende Themen der Zukunft, sondern: fehlendes Personal.
Global gesehen hatte die Tourismusindustrie eine wichtige ökonomische Funktion, denn vor Covid erwirtschaftete sie durchschnittlich 10 % des Bruttoinlandsproduktes weltweit. Eine/r von 10 Arbeitnehmer:innen weltweit war vor Covid in der Tourismusbranche beschäftigt (UNWTO 2018). In Österreich zählt die Tourismusindustrie nach wie vor zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen. Hotels werden zu den besten Arbeitgeber:innen unseres Landes gezählt. So empfehlen in etwa 7 von 10 Arbeitnehmer:innen ihre/n Arbeitgeber:in weiter (Top Arbeitgeber Österreich 2021, statista, März 2021).
Dennoch sind wir weit weg von „alles roger“. Der Arbeitskräfteengpass in der Tourismusindustrie ist ungleich höher als in anderen Branchen und beschert den Betrieben bis zu 40 % Umsatzeinbußen. Im Moment sind es 15.000 offene Stellen (AMS, Mai 2022). Die Sommersaison naht und es sind keine Arbeitskräfte in Sicht. Auch nicht aus anderen europäischen Ländern, denn auch dort herrscht Arbeitskräftemangel. Es ist keine politische Hilfe in Sicht.
Interessenvertretungen wie die ÖHV und die Gewerkschaft fordern seit Jahren die Senkung der Lohnnebenkosten, um attraktivere Löhne zahlen zu können. Doch bis dato hat sich politisch nichts Gravierendes bewegt. Der Arbeitsmarkt ist ausgedünnt, vor allem an männlichen Arbeitskräften.
Wie attraktiv ist „Attraktiver Tourismus“?
Viele Betriebe, die es sich leisten können, zahlen bereits höhere Löhne, um Menschen am Arbeitsplatz zu halten. Das funktioniert meist gut, wenn Mitarbeiter:innen überhaupt gefunden werden. Dann können die Gäste auch kommen. Trotzdem sind Betriebe unterbesetzt, und es fehlen Kolleginnen und Kollegen. Was für bestehendes Personal vor allem eines bedeutet: Stress. Obwohl viele Aspekte unserer jetzigen Situation nicht vorhersehbar waren, war Stress aufgrund von gesellschaftlicher Veränderung vorhersehbar. Die demographische Entwicklung liegt seit langem klar auf der Hand. Man muss nicht Glaskugellesen können um zu wissen, wie viele Menschen 2030 in Pension gehen werden. Und wir wissen auch, dass die Tourismusindustrie zu den Top fünf größten Umweltverschmutzer:innen auf unserem Planeten zählt. Das alles trägt nicht unbedingt zum Image oder zur Attraktivität als Arbeitgeber bei.
Apropos „Attraktivität“. Die Tourismusindustrie hat in den letzten Jahren vieles gut gemacht, um „attraktiver“ zu werden. Die Branche hat sich mit der „Marke“ als Arbeitgeber:in auseinandergesetzt (Employer Branding), mit Mitarbeiter:innen-Life Cycles, mit Personalentwicklung, mit Arbeitszeitmanagement, unterschiedlichen Entlohnungsmöglichkeiten, betrieblichem Gesundheitsmanagement, Persönlichkeitsentwicklung, Führungskräfteentwicklung – um nur ein paar Punkte zu nennen. Auch Planbarkeit der Arbeitszeiten, eine bessere Work-Life-Balance und verbesserte Kinderbetreuungsangebote gehören dazu, und das ist definitiv ein richtiger Schritt in Richtung gesellschaftliche Verantwortung. Der Vorwurf, man hätte was verschlafen, ist nicht gerechtfertigt. Ganz im Gegenteil: man hat vieles gut und richtig gemacht. Und die sich mit den Menschen in ihren Betrieben beschäftigt haben, haben auch tendenziell weniger Probleme, Mitarbeiter:innen zu finden. Trotzdem ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
Der ökonomische und gesellschaftliche Umbruch zeichnet sich auf allen Ebenen ab und erfordert ein radikales Umdenken, um Mitarbeiter:innen zu gewinnen und zu halten.
Höhere Löhne gleichen vorübergehend aus. Nur, es ist ein punktuell wirkendes schnelles Schmerzmittel, aber keine langfristige Heilung. Natürlich ist entsprechender Lohn wichtig, aber die Kernfrage ist: In welcher Arbeitswelt wollen Menschen heute überhaupt tätig sein?
Um Mitarbeiter:innen zu finden und zu halten stehen (1) erfüllende Tätigkeiten für Unternehmen mit Visionen, die vor allem einen ökologisch positiven Impakt erzeugen, (2) eine gute Unternehmenskultur und (3) Werte des Unternehmens, die zu den eignen Werten passen, im Zentrum. Somit entsteht eine Verbindung zum Betrieb und eine Identifikation mit der Arbeit bzw. dem/r Arbeitgeber:in. Eine gute Unternehmenskultur ermöglicht gemeinsame Erfahrungen (Employee Experience), die Arbeitnehmer:innen nicht nur anziehen, sondern auch halten.
Parameter unserer Zukunft
Zum Beispiel ist vielen jungen Menschen Nachhaltigkeit wichtig. Wenn Nachhaltigkeit ein wichtiger Wert für einen Menschen ist, möchte er/sie dies meist im beruflichen Umfeld leben können. Somit stellt sich die Frage: Was bedeutet „Nachhaltigkeit“ in diesem Betrieb? Wie leben wir Nachhaltigkeit im Alltag? Reicht es, Produkte lokal vom Biobauern um die Ecke zu beziehen und im Gegensatz dazu Food Waste zu betreiben, also Essen in großen Mengen wegzuwerfen? Oder Handtücher zwei Mal zu verwenden?
Vermutlich nicht. Zu oft ist Nachhaltigkeit ein pseudo Begriff der lasch auf der Webseite steht und nichts mit ökologischem Handeln im Alltag zu tun hat. Da kann man ihn gleich weglassen.
Fragen wir uns doch mal: Was ist unser Beitrag als Betrieb zur Vermeidung, oder zumindest Minderung der drohenden Klimakrise? Wie leben wir mit unseren Gästen und Mitarbeitern gemeinsam Nachhaltigkeit im Alltag? Daraus lassen sich Kosten sparen. Aus dem Wert „Nachhaltigkeit“ entsteht eine Vision für den Betrieb.
Mitarbeiter:innen können sich aktiv beteiligen oder sogar verwirklichen und gemeinsamen Gestalten um einen ökologischen und gesellschaftlichen „Impact“ zu kreieren. Durch das gemeinsame Gestalten, gemeinsame Erleben, entfalten sich die intrinsische Motivation der erlebten Sinnhaftigkeit und eine gemeinsame positive Employee Experience. Das erhöht die Identifikation mit dem Betrieb, bindet Mitarbeiter und hat als Bonus motivierte, meist lächelnde Mitarbeiter im Gepäck. Das gefällt auch den Gästen.
Slow down im Arbeitsalltag
In den letzten beiden Jahren des Lockdowns hat sich in vielen Köpfen ein Slow down eingestellt. Manchmal sogar ein Raus aus dem Hamsterrad, und etwas mehr Ruhe und Zeit für sich. Nachdenken, was will ich eigentlich wirklich in meinem Job, was ist mir wichtig, vielleicht sogar was will ich in meinem Leben? Sull, Sull und Zweig (2022) haben weltweit Daten erhoben, warum Mitarbeiter:innen während der Covid Krise gekündigt haben und zeigen, dass eine toxische Unternehmenskultur in allen Branchen 10,4x mehr Grund zur Kündigung war, als der Lohn. „Toxisch“ bedeutet zum Beispiel Mangel an Wertschätzung, Respekt, ethischem Verhalten, Fairness bis hin zu sich in den Rücken zu fallen.
Die folgenden Fragen, am besten gemeinsam bearbeitet, sind Beispiele die den Startschuss für ein gutes Miteinander und eine gute Unternehmenskultur ermöglichen:
- Wie wollen wir zusammenarbeiten?
- Wie leben wir Wertschätzung im Betrieb?
- Wie leben wir Respekt im Miteinander?
- Was ist unsere Haltung?
Das kann der Beginn einer guten Reise für florierende Unternehmenskultur sein.
Der aktuelle ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Umbruch braucht radikales Verantwortungsbewusstsein auf allen Ebenen. Nur: Um den Engpass an Arbeitskräften zu überwinden, brauchen wir Mut alle Parameter in unserer komplexen Situation zu berücksichtigen. Mut, sich unserer ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu sein und zu handeln. Dieser Mut wird mit Menschen, die die Verantwortung mittragen und mitgestalten, belohnt. Und spart mit Sicherheit operative Kosten, wie am Beispiel der gelebten Nachhaltigkeit dargestellt. Wer das Rennen macht oder hinterherhechelt, wird sich zeigen.