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Studie

Die Corona-Krise und ihre Implikationen für die nachhaltige Entwicklung des Tourismus

Ziel der im Juni durchgeführten Online-Befragung war es, herauszufinden, wie Inhaber*innen und Manager*innen deutscher und österreichischer Tourismusunternehmen, -verbände und -organisationen den Stellenwert von Nachhaltigkeit in der Corona-Erholungsphase und einer künftigen Post-Corona-Welt einschätzen.

04. August 2020

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Es sollte ermittelt werden, ob während und nach der Krise eine – ggf. sogar verstärkte – Bereitschaft existiert, Nachhaltigkeitsziele im Tourismus umzusetzen oder ob im Gegenteil zu befürchten ist, dass solche Ziele mit Hinblick auf die massiven wirtschaftlichen Probleme der Branche in den Hintergrund gestellt werden.

Die Befragung wurde durch die deutschen und österreichischen Spitzenverbände an ihre Mitglieder verteilt. Insgesamt nahmen 607 Tourismusunternehmen und Organisationen mit Sitz in Deutschland und Österreich teil, wobei 2/3 der Rückläufe von österreichischen Unternehmen kamen. Ca. 60% der Befragten repräsentieren Unternehmen aus dem Gastgewerbe, weitere 20% Tourismusorganisationen (einschl. DMOs) und knapp 8% Reiseveranstalter bzw. -mittler.

Die Ergebnisse der Befragung geben insgesamt keine Hinweise, dass sich die Branche von bereits akzeptierten Nachhaltigkeitsmaßnahmen coronabedingt verabschiedet. Im Gegenteil zeigen sie eine große Zustimmung zum Prinzip der Nachhaltigkeit sowie zur Bedeutung des Klimaschutzes, die allerdings meist dann stärker ausgeprägt ist, wenn es um die Tourismusbranche als Ganze geht, nicht wenn es um das eigene Unternehmen, oder explizit um mögliche Restriktionen geht.

So erachten 90% der Befragten ein solides Wirtschaften auf lange Sicht und mit Substanz als notwendig, um für zukünftige Krisen widerstandsfähiger zu sein, auch wenn dies zu einem geringeren Wachstum führt. Die Rückkehr zu alten Wachstumsraten zur Wiederherstellung eines prosperierenden Tourismus hält nur ein gutes Drittel für zielführend. Ebenfalls 90% der Befragten sprechen sich dafür aus, dass Anpassung an den Klimawandel sowie Klimaschutz im Tourismus höchste Priorität haben sollte. Selbst das konkretere Statement, wonach staatliche Corona-Hilfen zumindest teilweise davon abhängig gemacht werden sollten, ob die Begünstigten Klima- und Umweltschutz betreiben, wird noch von zwei Dritteln der Befragten unterstützt. Die überwältigende Zustimmung kann man aber eventuell damit erklären, dass hier vor allem Unternehmen und Organisationen des Inlandstourismus geantwortet haben, bei denen eher weniger transportbedingte Emissionen zu verzeichnen sind und die sich daher selbst womöglich weniger angesprochen fühlen. Auch seitens der Nachfrage erwarten 80% der Befragten eine höhere Relevanz von Nachhaltigkeit, an die sich die touristischen Anbieter anpassen müssten. 71,6% sehen zudem eine längerfristig anhaltende Orientierung der Reisenden auf inländische oder europäische Ziele.

Die Zustimmung zu Nachhaltigkeitsaspekten ist etwas weniger stark ausgeprägt, wenn es um das eigene Unternehmen geht. So halten 42% der Befragten die Nachhaltigkeitsdiskussion zum jetzigen Zeitpunkt für sekundär, da im eigenen Unternehmen / Organisation gerade andere Sorgen und Prioritäten vorherrschen. Dies ist verständlich, angesichts der Tatsache, dass viele Tourismusunternehmen aktuell um das wirtschaftliche Überleben kämpfen. Folgerichtig sind 60% der Meinung, dass in ihrem Unternehmen alle „den Gürtel enger schnallen“ müssten, einschließlich der Mitarbeitenden, auch wenn man dies bedauere.

Diese Zurückhaltung scheint allerdings nur im aktuellen Krisenbewältigungsmodus zu gelten, denn die große Mehrheit der Befragten möchten zukünftig ihre Unternehmensziele stärker an Zielen einer nachhaltigen Entwicklung ausrichten. Dieser Wunsch wird durch die überraschend zahlreichen, konkreten und engagierten Antworten der Teilnehmer*innen auf die Frage nach künftig geplanten Maßnahmen verdeutlicht. Bei den über 730 durch die Teilnehmer*innen genannten Aktivitäten lag der Fokus vor allem in den Bereichen Management, Ökonomie und Umwelt. Nachhaltigkeitsorientierte Strategien werden als Voraussetzung für unternehmerischen Erfolg in der Post-Corona-Zeit gesehen. So setzen fast 60% der Befragten auf nachhaltige Produkte und Dienstleistungen und streben hierdurch eine Erhöhung der Attraktivität für die heimischen Märkte an.

Differenziert man die Zustimmung bzw. die Ablehnung von nachhaltigkeitsbezogenen Statements nach Unternehmensart und -größe, dann schält sich ein eindeutiges Muster heraus: Die Unterstützung von Nachhaltigkeit ist bei DMOs ausgeprägter als im Gastgewerbe und bei Reisemittlern, und kleinere Unternehmen sind im Schnitt nachhaltigkeitsaffiner als größere. Über die Gründe dafür kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Tourismusorganisationen und -verbände sind durch ihre teils öffentliche Finanzierung eventuell in einer stabileren Lage als Privatunternehmen, insbesondere als die massiv betroffenen Reiseveranstalter/-mittler. In KMUs könnten sich schließlich persönliche Überzeugungen der Inhaber*innen stärker in der Unternehmenspraxis niederschlagen als dies in Großunternehmen der Fall ist.

An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass die hier präsentierten Ergebnisse zum einen nicht repräsentativ für die gesamte Tourismusbranche sind und zum anderen durch den Prozess der self selection verzerrt worden sein könnten. Möglicherweise haben vor allem nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen/ Organisationen den Fragebogen ausgefüllt.

Trotz dieser Einschränkungen liefert die hier vorgelegte Befragung eine recht umfassende Momentaufnahme vom Stellenwert von Nachhaltigkeit in der Tourismusbranche unter den Bedingungen der Corona-Krise. Mittelfristig scheinen sich schon bestehende Nachhaltigkeitsüberzeugungen zu verstärken, bis hin zu ganz neuen Perspektiven, etwa in Bezug auf die Entdeckung des Naheliegenden und die Beachtung von natürlichen und sozialen Kapazitätsgrenzen. Das Thema Klimaschutz bleibt allerdings ein ambivalentes. Hier sieht man möglicherweise eher die Branche insgesamt als sich selbst in der Pflicht.

Ihr Ansprechpartner

Oliver Schenk MA

Oliver Schenk MA

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