ÖHV: Aufatmen nach einem halben Jahr Mega- Lockdown. Vor welchen Herausforderungen steht der Städtetourismus nun?
Norbert Kettner: Ich sage den Betrieben: Danke fürs Durchhalten! Uns vereinen Optimismus, Mut und die Bereitschaft, den Restart voranzutreiben. COVID-19 sorgte gerade im international geprägten Städtetourismus für drastische Einschnitte. Die Erholung wird noch Jahre in Anspruch nehmen. Gut qualifizierte Fachkräfte haben die Branche verlassen und müssen zurückgeholt werden. Zugleich müssen wir die Resilienz der städtischen Tourismuswirtschaft für die Zukunft stärken und im Wettbewerb um Gäste vorne mitspielen.
ÖHV: Wie geht man konkret in Wien damit um? Welche Schritte sind geplant?
Norbert Kettner: Der Anteil internationaler Gäste in Wien liegt üblicherweise bei mehr als 80 %, auch Tagungsgäste fehlen derzeit stark. Ihre Rückkehr wird durch den Pandemie-Verlauf und durch eingebrochene Verkehrsanbindungen noch länger benötigen. Hier setzen wir mit Kooperationen mit Verkehrsträgern im Bereich Luftfahrt und Schiene an. Wir haben Kampagnen in den Bereichen B2C und Meeting-Industrie gelauncht und ermöglichen niederschwellige, kostenlose Beteiligungsmöglichkeiten. Mit der Vienna City Card Experience Edition sprechen wir Vielbesucher und Wiener an, um Frequenz in den Betrieben zu schaffen. Unser zusammen mit der Wirtschaftskammer Wien speziell für Wiens Hotellerie entwickeltes Sicherheitssiegel „Safe Stay“ signalisiert höchste Sicherheits- und Hygiene-Standards. Wir unterstützen die Branche auch mit Qualifizierungsmaßnahmen, Info-Veranstaltungen und einem Onlineportal. Kurzarbeit wird gerade im Städtetourismus noch länger wichtig bleiben.
ÖHV: Vor allem die Bundeshauptstadt leidet stark unter dem Wegbrechen der internationalen Gäste. Wann rechnen Sie mit Erholung, was ist dafür nötig?
Norbert Kettner: Prognosen sprechen für den Städtetourismus von mehreren Jahren, also bis 2023 / 2024, bis das Niveau vor Corona wieder erreicht werden kann. Angesichts des langen Lockdowns bis Mitte Mai wird Wien 2021 wohl etwa nur auf dem Niveau von 2020 landen. Die Themen Connectivity, Stärkung der Fluganbindung sowie der Netzwerkfunktion des Home Carriers Austrian Airlines haben höchste Priorität. Auf kürzeren Distanzen gewinnt der Schienenverkehr an Bedeutung. Der Grüne Pass der EU ist ein Anfang, aber wir
brauchen auch Gäste aus Nordamerika, Asien und dem arabischen Raum, sprich Reiseprotokolle für gut durchgeimpfte Märkte. Und mit Blick auf chinesische und russische Gäste rasch Konsens darüber, welche Impfstoffe bei uns anerkannt werden.

ÖHV: Haben die erdgebundenen Nahmärkte verstärktes Zukunfts-Potenzial? Ändert sich der Wiener Gäste-Mix nachhaltig?
Norbert Kettner: Selbst im Pandemie-Jahr haben sich die USA in den Top 10 der nächtigungsstärksten Märkte Wiens gehalten. Ich glaube fest an die Rückkehr der umsatzstarken Fernmärkte. In den kommenden Jahren werden Nahmärkte wohl eine übergeordnete Rolle spielen. Dennoch: Das Bedürfnis, sich die Welt anzuschauen, ist durch die Krise nur stärker geworden. Daher haben wir selbst 2020 weiterhin auch auf Fernmärkten Präsenz gezeigt.
ÖHV: Für viele Wiener Hotels war und ist der Meeting- bzw. Kongresssektor ein wichtiger Geschäftsbereich. Wie sehen Sie die Zukunft in dem Feld? Sind hybride Tagungen ein dauerhaftes Modell?
Norbert Kettner: Der pandemiebedingte Digitalisierungsschub hat in der Meeting-Industrie zu einem Paradigmenwechsel geführt, hybride Tagungen werden bleiben. Kongresse und Firmenveranstaltungen sind weiterhin als Triebfeder für die Erholung von Wiens Tourismus zentral, der Wunsch nach persönlichem Austausch und physischen Treffen bleibt bestehen. Um das Anlaufen internationaler Tagungen zu beschleunigen, stellt die Stadt mit dem Vienna Meeting Fund bis Ende 2023 eine zusätzliche Förderung in der Höhe von vier Millionen Euro zur Verfügung, die für die Akquise von großen Verbandskongressen und Firmentagungen eingesetzt wird. Die volle Förderhöhe von 60.000 Euro je Veranstaltung ist nur dann möglich, wenn auch entsprechend Nächtigungen in Wiens Hotellerie generiert werden.
Das Gespräch wurde im Juni 2021 geführt.
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